Warum das Treffen von Trump und Selenskyj zum Scheidepunkt wird
Nein, die amerikanischen Tomahawk-Raketen sind keine Wunderwaffe im russischen Krieg gegen die Ukraine. Dafür sind sie in ihren Möglichkeiten zu eingeschränkt, in ihrer Stückzahl zu gering.
Und dennoch: Wenn sich Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj am Freitag in Washington treffen, wird es aus mehreren Gründen von grosser Bedeutung sein, ob sie am Ende die Lieferung dieser Marschflugkörper an die Ukraine verkünden werden.
Denn natürlich haben die Tomahawks eine militärische Wirkung: Sie erreichen fast 2000 militärische Ziele weit im russischen Hinterland, darunter auch Luftwaffenstützpunkte und Fabriken für Kampfdrohnen.
Potential Tomahawk targets in Russia
— Clash Report (@clashreport) October 16, 2025
If the U.S. sends Tomahawk cruise missiles to Ukraine, nearly 2,000 Russian military sites — including 76 airbases — could fall within range.
Source: ISW pic.twitter.com/506oQsIuSB
Die Raketen dienen zudem der Abschreckung. So sind Angriffe etwa auf Moskau zwar nicht vorgesehen, können aber nie grundsätzlich ausgeschlossen werden. Dies sorgt für ein besseres Gleichgewicht und setzt das russische Regime stärker unter Druck.
Viel wichtiger ist jedoch die politische Dimension der möglichen Tomahawk-Lieferungen. Ringen sich die USA unter Trump dazu durch, ist es ein deutliches Signal gegenüber dem russischen Machthaber Wladimir Putin. Und dies in einer Zeit, in welcher der amerikanische Präsident wiederholt seine Position geändert hat.
Es ist auch ein Zeichen an die europäischen Partner, ihre früheren Versprechen umzusetzen – zuvorderst Bundeskanzler Merz, der noch im Wahlkampf eine unverzügliche Taurus-Lieferung in Aussicht gestellt hatte.
Trump fühlt sich von Putin verraten
Das Treffen zwischen Trump und Selenskyj geht aber weit über Waffenlieferungen hinaus.
Der US-Präsident hat inzwischen verstanden, dass er den Ukraine-Krieg nicht in 24 Stunden beenden kann, wie er dies noch grossspurig im Wahlkampf erklärt hatte.
Und obwohl seine Position seit Amtsantritt schwankt zwischen Unterstützung für die Ukraine, Einknicken gegenüber Russland und einem kompletten Rückzug aus der Affäre, hat er in den letzten Wochen mehrfach zu verstehen gegeben, dass er sich von seinem früheren Freund Putin verraten fühlt.
Der Kremlherrscher hat denn auch tatsächlich seit Spätsommer die Angriffe auf die Ukraine massiv verstärkt. Erneut bringen jede Woche Hunderte Drohnen Zerstörung, insbesondere auch der zivilen Infrastruktur.
Und Russland hat offen damit begonnen, die Reaktionsfähigkeit der Nato und der europäischen Sicherheitspartner zu testen. Zahlreiche Hinweise lassen befürchten, dass Putin nicht mehr nur die Ukraine im Fokus hat, sondern offenkundig mit einem Angriff auf die Nato spielt – und dies wohl deutlich früher als 2029.
Putins Angriffe werden grausamer
Darüber hinaus hat Putin gezeigt, dass der Preis für seinen imperialistischen Feldzug nicht hoch genug sein kann: Die Wirtschaft leidet zunehmend unter den Sanktionen, die Fortschritte auf dem Schlachtfeld sind in jüngster Vergangenheit ausgeblieben, die Verluste dafür umso grösser.
Und dennoch ist der russische Machthaber von einem Einlenken weit entfernt. Von einer vermeintlichen historischen Mission beseelt, wird Putin in seinen Angriffen auf die Ukraine immer grausamer.
Das ukrainisch-amerikanische Treffen am Freitag wird also tatsächlich zu einem Scheidepunkt. Äussert Trump deutliche Unterstützung für die Ukraine und lässt den Ankündigungen rasch Taten folgen, so stärkt dies nicht nur das überfallene Land, sondern ganz Europa, welches sich auch in der Nato weiterhin auf die USA verlässt.
Zu diesem Bekenntnis Amerikas gehört wiederum die abschreckende Wirkung: Russland muss verstehen, dass seine Aktionen nicht ohne Folgen bleiben werden und weitere Antworten jederzeit möglich sind. Bleibt diese Entschlossenheit aus, so öffnen sich die Türen für Moskau weiter für neuerliche Provokationen und unverhohlene Angriffe auf Europa.
Teil der aktuellen Entwicklung ist im Übrigen, dass Russland bereits seit Wochen in hysterischem Ton vor amerikanischen Tomahawk-Lieferungen warnt. Diese seien eine inakzeptable Eskalation und würden unmittelbare Vergeltung bedeuten. Die Warnungen sind allerdings ein inzwischen bekanntes Muster der Kreml-Propaganda: Sie zielen darauf ab, die Menschen in Europa zu verunsichern und damit eine Waffenlieferung gar nicht erst ernsthaft zur Debatte zu stellen.
Diesen Einschüchterungsversuchen muss nicht nur Trump entschieden dagegenhalten, sondern auch Europa, welches das aggressive Verhalten Moskaus nicht weiter tolerieren kann.